Nach COVID-19: Chronische Erschöpfung und kognitive Einschränkungen
Nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 leiden deutlich mehr Menschen an einem chronischen Erschöpfungssyndrom als Menschen, die nicht mit dem Virus in Kontakt waren. Auch kognitive Defizite wie Konzentrations- oder Gedächtnisstörungen treten nach einer Infektion häufiger auf. Das zeigen Untersuchungen, die Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel, durchgeführt haben. Von einem Erschöpfungssyndrom betroffen seien überwiegend junge Frauen. Geistige Beeinträchtigungen wurden eher bei Männern ab 55 Jahren beobachtet, wie die Forschenden im Fachmagazin eClinicalMedicine berichten.
Das postinfektiöse chronische Erschöpfungssyndrom, auch bekannt als Fatigue-Syndrom, zeigt sich durch eine langfristige und stark ausgeprägte körperliche Schwäche, die sich selbst durch Schlaf und Ruhepausen nicht bessert. Häufig tritt eine Verschlechterung auch nach geringfügigen Belastungen auf. „Die Existenz und möglichen Auswirkungen von chronischer Erschöpfung nach COVID-19 werden derzeit kontrovers diskutiert. Unsere Untersuchung liefert nun auf Basis breiter Bevölkerungsstudien belastbare Daten, die von gesellschaftlicher Bedeutung sind“, sagt Prof. Dr. Carsten Finke, Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie der Charité. „Langanhaltende chronische Erschöpfung nach einer SARS-CoV-2-Infektion ist durchaus ein häufiges und relevantes Problem. Die Erkrankung ist mit großem persönlichen Leidensdruck verbunden, führt zu Ausfällen am Arbeitsplatz und stellt eine erhebliche Belastung für das Gesundheitssystem dar.“
Vor allem junge Frauen leiden unter chronischer Erschöpfung
Das Forschungsteam um Prof. Finke und Prof. Dr. Walter Maetzler, stellvertretender Direktor der Klinik für Neurologie des UKSH, Campus Kiel, hat für die aktuelle Untersuchung Daten von rund 1.000 Patientinnen und Patienten ausgewertet, deren SARS-CoV-2-Infektion mindestens sechs Monate zurücklag. Die Vergleichsgruppe ohne vorangegangene Infektion bildeten rund 1.000 Menschen, deren Daten für eine Bevölkerungsstudie der Universität Leipzig vor der Pandemie zusammengetragen worden waren. Rund 19 Prozent der zuvor SARS-CoV-2-Infizierten wiesen demnach relevante Symptome für ein chronisches Erschöpfungssyndrom auf, im Gegensatz zu nur acht Prozent in der Vergleichsgruppe. Chronische Erschöpfung kommt damit auch Monate nach einer Infektion mit dem Coronavirus mehr als doppelt so häufig vor wie in der gesunden Allgemeinbevölkerung. Insbesondere träfe sie jüngere Frauen zwischen 18 und 24 Jahren infolge einer Infektion. „Wir hatten im direkten Vergleich mit der Allgemeinbevölkerung keine so hohen Zahlen und keinen so deutlichen Unterschied erwartet“, so Prof. Finke. Neurologische Beschwerden während der akuten COVID-19-Erkrankung konnten als Risikofaktoren für das spätere Auftreten von Fatigue identifiziert werden.
Bilden sich kognitive Fähigkeiten zurück?
Kognitive Einschränkungen wie Konzentrations- oder Gedächtnisstörungen sind laut der Studie eine weitere häufige Folge einer Coronavirus-Infektion: Sie zeigten sich bei 27 Prozent der Untersuchten. Symptome dieser Art traten vor allem bei älteren Männern auf. Nur wenige von ihnen beklagten jedoch gleichzeitig Symptome einer chronischen Erschöpfung, während bei Patientinnen und Patienten zwischen 25 und 54 Jahren etwa die Hälfte an Fatigue und kognitiven Einschränkungen litten. Das Forschungsteam schließt daraus, dass voneinander unabhängige Faktoren zum Auftreten dieser beiden verbreiteten Folgen führen. Welche der unterschiedlichen Lang- und Spätfolgen sich nach COVID-19 zeigen, ist sehr wahrscheinlich auf unterschiedliche Entstehungsmechanismen zurückzuführen. „Für uns ist nun interessant, ob die kognitiven Defizite dauerhaft bestehen bleiben, oder ob sie sich zurückbilden. Auch ist die Frage offen, ob durch eine SARS-CoV-2-Infektion Demenzen bei Älteren früher auftreten“, sagt Prof. Maetzler. „Die aktuellen Daten geben erste Hinweise darauf, dass das chronische Erschöpfungssyndrom weniger stark ausgeprägt ist, je länger die Erkrankung zurückliegt.“ Daher widmen sich die Forschenden derzeit insbesondere dem Verlauf dieser Beschwerden.
Quelle: Charité – Universitätsmedizin Berlin