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Bakteriophagen – verstecktes Potenzial direkt vor unserer Nase?

Alle Lebewesen befinden sich in einem konstanten Wettbewerb miteinander. Dabei setzen sich die besten und fortschrittlichsten genetischen Anpassungen durch, die meist zufällig entstanden sind. Solche Veränderungen treten speziesübergreifend auf, das heißt bei Menschen, Tieren, Pflanzen, Pilzen, Algen und Bakterien. Auslöser solcher Veränderungen sind in vielen Fällen auch Viren, die sich dadurch auszeichnen, dass sie Zellen infizieren, indem sie in sie eindringen und sie zum Vorteil der Viren umprogrammieren. Das übergeordnete Ziel der Viren ist es, neue Viren in hoher Zahl herzustellen. Die Herausforderung in der Medizin besteht daher darin zu verstehen, wie ein infizierendes Virus arbeitet und auf welche Zellstruktur der Wirtszelle es abzielt, um anschließend ein Mittel gegen das Virus zu finden.

Was aber, wenn man Viren gezielt nutzen könnte, um bakterielle Pathogene zu bekämpfen? Gemeint ist, dass der Infektionsschritt von Bakteriophagen ausgenutzt werden kann, da es sich um Viren handelt, die spezifisch nur Bakterien infizieren. Wie alle Viren müssen auch Bakteriophagen erst in die Wirtszelle eindringen, um ihr zerstörerisches Potential zu entfalten. Dazu behelfen sie sich ihres praktischen Aufbaus, der aus einem Kopf- und einem Schwanzteil besteht. Der erfolgversprechende Clou dabei ist, dass der Schwanzteil spezifisch und irreversibel an Oberflächenstrukturen auf den Bakterien bindet. Anschließend wird das Genommaterial (DNS oder RNS) aus dem Kopfteil in das Bakterium injiziert, wo es die Bakterienreplikation unterbricht, die Bakteriophagen-Produktion einleitet sowie eine anschließende Zell-Lyse triggert.

Die spezifische Infektion bestimmter Bakterien über Bakteriophagen findet mittlerweile auch Anwendungen in der Medizin. In einem Interview mit DISKURS Dermatologie erläuterte Prof. Dr. Holger Ziehr, Bereichsleiter Pharmazeutische Biotechnologie des Fraunhofer-Instituts für Toxikologie und Experimentelle Medizin (ITEM), wichtige Vorteile der Bakteriophagen gegenüber herkömmlichen Bakterienbekämpfungen. Ein essenzieller Teil der Neuorientierung in der Arzneimittelentwicklung sei die aufkommende Multi-Resistenz von bakteriellen Krankheitserregern. Bislang werden bakterielle Infektionen mit Antibiotika behandelt, die sehr kostspielig in der Entwicklung sind; dementsprechend sei die Pharmaindustrie zurückhaltend in der Entwicklung neuer Antibiotikaleitstrukturen. Vor allem Faktoren wie die Antibiotikadosis, deren Nebenwirkungen, die langen Entwicklungszeiten und die Kosten und Risiken klinischer Studien seien hauptverantwortlich für die Zurückhaltung der Pharmaindustrie bei Neuentwicklungen bis hin zum Zulassungserfolg.

Die bislang verwendeten Breitbandantibiotika seien zuverlässig und für mehrere Bakterienstämme anwendbar. Im Labor werde zuerst ein Abstrich des zu testenden Stammes generiert, für den ein Antibiogramm folge, um zu bestimmen, welche Antibiotika wirken. Dadurch, dass es zunehmend multi- und pan-resistente Erreger vor allem in Krankenhäusern und Pflegeheimen gebe und Neuentwicklungen ausblieben, sei der Status Quo zunehmend kritischer geworden, da man immer weniger auf Antibiotika zurückgreifen könne. Somit stehe die Medizin vor einer großen Herausforderung, neue Mittel zu finden, die der Ausbreitung resistenter Keime Einhalt gebieten werden. Und genau hier setzt die Phagentherapie an: Es sollen nun dementsprechend Bakteriophagen gefunden werden, die möglichst breite Spektren an Bakterienstämmen abdecken.

Im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Verbundprojekt »Phage4Cure« fokussiere man sich gemeinsam mit dem Leibniz-Institut DSMZ –Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH, der Charité – Universitätsmedizin Berlin und der Charité Research Organisation GmbH auf die Anwendung von inhalativ zu verabreichenden Phagen als neuartige Therapie gegen Lungen-Infektionskrankheiten. Die Projektpartner übernehmen in diesem gut getakteten Zusammenspiel komplementäre Rollen. „Dadurch, dass Bakteriophagen wirtsspezifisch sind, besteht ein wesentlicher analytischer Aufwand in der Herstellung und Qualitätskontrolle/-analytik der Phagen. Bislang werden pathogene Bakterien in einem Antibiogramm auf fünf Antibiotika auf ihre Anwendbarkeit getestet. Bei Bakteriophagen jedoch müssen jeweils mehrere hundert Phagen getestet werden, bevor ein wirkungsvolles, spezifisches Phage gefunden wird.“, so Ziehr in Bezug auf eine Frage zum Unterschied zwischen der herkömmlichen Anwendung von Antibiotika und dem Bakteriophagen-Ansatz. Zudem liegen in Deutschland bisher keine klinischen Studien zur Verwendung von Phagen vor.

Diese mangelnde Erfahrung im Umgang mit Phagen erschwert deren klinischen Einsatz. Deshalb teile sich die Arbeit wie folgt auf: Potenzielle Phagenkandidaten gegen bestimmte Pathogene wie Pseudomonas aeruginosa, einem häufigen, panresistenten Krankenhausstamm, wurden vom Leibniz-Institut DSMZ (Arbeitsgruppe Dr. Christine Rohde) isoliert und an das Fraunhofer ITEM weitergereicht. Dort erfolgten Prozessentwicklung und Herstellung der Bakteriophagen. Zudem sei man dort auch für die Durchführung präklinischer Studien verantwortlich. Die Charité und die auf deren Campus ansässige Charité Research Organisation übernehmen dann neben weiteren präklinischen Studien auch die klinischen Studien. Wir werden die Entwicklungen auf diesem Gebiet weiterhin gespannt beobachten.

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