Welche Risiken birgt vegane Ernährung für Kinder und Allergiker?
Die vegane Ernährung findet aktuell eine stärkere Aufmerksamkeit denn je. Die Beweggründe, sich vegan zu ernähren, sind sehr unterschiedlich. Der Verzicht auf tierische Lebensmittel bringe jedoch auch Risiken, wie die Mangelversorgung an bestimmten Nährstoffen, besonders für Kinder, mit sich. Darauf weist die Deutsche Gesellschaft für Allergologie und Klinische Immunologie (DGAKI) e. V. hin. Auch bei Allergikern sei Vorsicht geboten, denn viele industrielle Produkte im Supermarkt gäben nicht immer exakt Auskunft über alle Inhaltsstoffe. Die DGAKI e. V. hat deshalb ein Positionspapier veröffentlicht, dass sich detailliert mit den Vorteilen, Nachteilen und Grenzen veganer Kost auseinandersetzt. Es richtet sich sowohl an Expert*innen aus Wissenschaft und Medizin als auch an alle, die sich vegan oder vorwiegend pflanzlich ernähren wollen.

Auf tierische Lebensmittel zu verzichten, ist auch für Kinder und Allergiker möglich. Um gesundheitliche Risiken möglichst zu vermeiden, benötigt es aber eine intensive Beschäftigung mit dem Thema. Foto: pexels.com/AlexGreen
Die Gründe, sich für eine vegane Ernährung zu entscheiden sind vielfältig: religiöse oder gesundheitliche Aspekte sowie Bestrebungen für mehr Nachhaltigkeit, Tierwohl oder Klimaschutz. Meist werden die gesundheitlichen Vorteile einer vegetarischen oder veganen Ernährung vorangestellt, obwohl auch eine mediterrane Kost mit reichlich Anteilen an Fisch, Geflügel, Eiern und Milchprodukten nachweislich mit einer Senkung des Risikos für Herz- und Krebserkrankungen sowie Diabetes mellitus Typ 2 einhergeht.
Der persönliche Beitrag für Klima und Umwelt darf nicht auf Kosten der eigenen Gesundheit gehen
Um sich bewusst vegan zu ernähren, sei es unverzichtbar, sich damit aktiv auseinanderzusetzen, sagt Dr. Imke Reese, Ernährungsberaterin und -therapeutin mit dem Schwerpunkt Allergologie: „Es geht nicht darum, was nicht mehr auf dem Teller liegen soll, sondern darum, was alternativ gegessen werden muss, um alle lebenswichtigen Nährstoffe in ausreichender Menge zu erhalten.“ Zu ihr kommen vermehrt Jugendliche, die aus Klimaschutzgründen auf rein pflanzliche Ernährung wechseln, aber auch Eltern, die ihre Kinder vegan ernähren wollen. „Leider ist den wenigsten wirklich klar, wie viel Wissen dafür erforderlich ist.“
Gemeinsam mit weiteren Mitgliedern der Arbeitsgruppe Nahrungsmittelallergie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und Klinische Immunologie (DGAKI) hat Dr. Reese das Positionspapier „Vegane Kostformen aus allergologischer Sicht“ veröffentlicht. Auf rund 30 Seiten werden dort aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zur veganen Ernährung, der adäquaten Eiweißversorgung, den Risiken durch Versorgungslücken an Proteinen und Mineralstoffen sowie eine Bewertung von pflanzenbasierten Ersatzprodukten aufgeführt. „Immer mehr Menschen machen sich Gedanken, wie sie mit ihrem Ernährungsverhalten einen persönlichen Beitrag für Klima und Umwelt leisten können“, erklärt Prof. Dr. med. Margitta Worm, Präsidentin der DGAKI und ebenfalls Autorin des Positionspapiers, „aber das darf nicht zu Lasten der eigenen Gesundheit gehen.“
Säuglinge, Kleinkinder und Allergiker können Mängel nur schwer ausgleichen
Um einer Mangelernährung vorzubeugen, sollten bei veganer Ernährung täglich Hülsenfrüchte, vor allem Soja, Nüsse und Ölsamen sowie Gemüse, allen voran Kartoffeln, und Vollkornprodukte auf dem Speiseplan stehen. Die schlechtere Eiweißqualität pflanzlicher Lebensmittel könne bedingt durch größere Verzehrmengen ausgeglichen werden. Dies verursacht aber eine höhere Energieaufnahme und damit das Risiko für Übergewicht. Das Positionspapier enthält den beispielhaften Tagesplan für einen Erwachsenen „Allerdings lässt sich das nicht einfach auf ein Kind übertragen“, warnt Dr. Reese. Für Säuglinge und Kleinkinder seien die erhöhten Mengen an veganer Kost, die sie zu sich nehmen müssten, gar nicht realisierbar. Zudem fehle es Ersatzprodukten häufig an der nötigen Menge an hochwertigem Eiweiß, Calcium, Jod und wichtigen anderen Nährstoffen. „Durch meine Arbeit mit allergischen Kindern weiß ich, wie schwer es ist, für Kuhmilch eine adäquate Alternative zu finden. Bei längerer Kuhmilchmeidung drohen Wachstumseinschränkungen und schlechter mineralisierte Knochen. Diese Risiken werden von Eltern leider komplett unterschätzt.“
Sich gesund vegan zu ernähren benötigt Wissen und Zeit
Auch wenn die Industrie auf die große Nachfrage nach veganen Produkten reagiert, liegt gerade hier ein weiteres Risiko – vor allem für Allergiker. „Nur weil ‚vegan‘ auf der Verpackung steht, bedeutet dies nicht, dass sich keinerlei tierisches Eiweiß darin befindet“, so Prof. Dr. Worm, Präsidentin der DGAKI, „die Deklaration bezieht sich auf die Zutaten, nicht auf produktionsbedingte unbeabsichtigte Einträge.“ Patienten, die auf tierische Allergieauslöser reagieren, sollten sich daher nicht auf vegan ausgezeichnete Lebensmittel verlassen. Pflanzenbasierte Alternativen greifen auf Weizen, Soja, Erdnüsse, Lupine, Erbse, Bockshornklee, Cashew, Haselnuss, Sesam oder Hanf zurück. „Diese beinhalten natürlich alle ihr eigenes Potenzial, allergische Reaktionen auszulösen“, ergänzt Dr. Reese. Auch darauf geht das Positionspapier ausführlich ein.
Nicht zuletzt werden viele vegane Produkte einem so starken Herstellungsprozess unterzogen, dass die Qualität der Gesamternährung darunter leidet und die Vorteile, die mit einer pflanzenbetonten Ernährung assoziiert werden, verschwinden. „Eine traditionelle vegane Ernährung, in der mit hochwertigen Produkten selbst gekocht wird, kann funktionieren, benötigt aber fundiertes Wissen und Zeit“, so Ernährungsberaterin Dr. Reese, „eine rein vegane Ernährung hat für viele Menschen Grenzen, denen sie sich bewusst sein müssen.“
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Allergologie und Klinische Immunologie (DGAKI) e. V.
Positionspapier: Reese, Schäfer, Ballmer-Weber et al.; Vegane Kostformen aus allergologischer Sicht – Positionspapier der Arbeitsgruppe Nahrungsmittelallergie der DGAKI, Allergologie, Jahrgang 46, Nr. 4/2023, S. 225-254